Heinz, der ältere Bergführer, hatte objektiv am Vorabend natürlich völlig Recht (und seine fachliche Qualifikation sowie das geschulte Auge stehen auch gar nicht zur Disposition): Er hatte mich beim Abstieg beobachtet "wia a older Moa" und gemutmaßt, ich habe bestimmt die an den Distelblüten schwebenden und Nektar saugenden Kolibris (ein seltenes Bild in den Alpen) in meiner Aufmerksamkeit für den Weg nicht gesehen.
Ich kann ihm mit einem süfisanten Lächeln auch subjektiv Recht geben, aber ich kenne nicht nur meine Pappenheimer, sondern auch meine Knochen bzw. Knie. In derartigem Terrain mit hohen Stufen im Abstieg und "Rollsplitt" muß ich mich wirklich fokussieren und seit 20 Jahren fahre ich gut damit (keine Plica-bedingten Ausfälle mehr), auch wenn es reichlich unsportlich, unelegant und staksig (quasi mit den Stöcken als Krücken) aussieht ;-)
Nachdem am Vorabend bereits heftiger Regen und schwere Gewitter eingesetzt haben, zieht sich das die ganze Nacht durch. Einige der ca. 35 Übernachtungsgäste (davon ca. 25 deutschsprachige auf dem E1, u.a. eine 11-köpfige Alpenvereinsgruppe aus Mainz) meinen am Morgen gegen 03:00 Uhr wäre es am schlimmsten gewesen.
Da habe ich alleine in meinem 6er-Lager natürlich tief und fest an meinem Erholungsschlaf gearbeitet: Alles zu seiner Zeit.
Am Morgen regnet es immer noch, aber nicht mehr so stark.
Drei zögernden Damen auf dem Weg nach Süden (die den Bröselhang hoch müssen) mache ich Mut, in dem ich Regen wegdefiniere.
So kommt es dann eigentlich auch (mal sehen, wie lange das noch gut geht), wobei die Wolken teilweise in den Berghängen bzw. dem Wald drin hängen:
Ich habe nur lange Beine zwecks der Nässe von Gras und Büschen angelegt (allerdings kippen mir tiefhängende Äste immer wieder Erfrischungsladungen vor die Brust oder ins Genick), aber Regensachen sind mir bereits beim Losgehen fremd: Ich komme ja schon ins Schwitzen, wenn ich manch anderen Zeitgenossen derart anschauen muß :-)
Über einen Hügel geht es zum Paß Pian delle Fugazze hinunter.
Im Anschluß direkt auf der anderen Seite wieder aufwärts und diesmal so richtig (knapp 1.100 Hm).
Aber eines nach dem anderen.
Zuerst ein Stück Militärstraße, dann immer wieder kilometerlange Serpentinen über Pfade abkürzend, bis ich letztlich vor diesem Stück Bauzaun stehe:
Ich interpretiere eine Sperrung seit 2020. Ok, also ca. 2,5 km Militärstraße außenrum.
Das dumme ist letztlich nur: Oben - am anderen Ende, kurz vor dem Tunnelportal - ist der Weg NICHT gesperrt.
*argh* entweder ist das eine COVID-Einbahnstraßenregelung (unwahrscheinlich) oder italienischer Irrsinn (wahrscheinlicher) - vielleicht sollte ich wieder zur 2008er-Strategie von Tine und mir an der Piave zurückkehren, an Verbotsschildern grundsätzlich gar kein Italienisch zu verstehen. Nun ja, nicht zur Strafe nur zur Übung (dafür war die Steigung natürlich sehr komod).
Und nicht, daß nun jemand glaubt, vor 100 Jahren hätte diese Straße so ausgesehen: Im ersten Weltkrieg (aus)gebaut (von einem Maultierweg), war sie NICHT mit Fahrzeugen befahrbahr, hatte (natürlich) keine gemauerten Tunnelportale und die Tunneldecken waren auch nicht mit Beton ausgespritzt.
Erst 1937 bzw. in den 1980er-Jahren wurde der heutige - Autobahn-artige - Ausbau der sog. "Helden-Straße"* realisiert und dabei auch die meisten der Gallerien beseitigt.
Aber ein paar hat es noch:
Am Rif. Achille Papa auf 1.928 Metern kehre ich für eine kleine Stärkung (und zum Aufwärmen) auf einen Strudel und eine heiße Schokolade (die war mir am Vortag noch verwehrt worden) ein.
EU-weit sind Plastik-Strohhalme seit einiger Zeit aus ökologischen Gründen verboten. Während des (nicht ganz einfachen) Versuchs, meinen Apfelstrudel erfolgreich zu verspeisen (ohne Verletzung davon zu tragen und möglichst annähernd 100% der Portion in meinen Mund zu bekommen), sinniere ich darüber, wie viele Dutzend Halme man wohl aus dem ganzen Plastikmüll hätte produzieren können:
- beschichteter Pappbecher
- Plastiklöffel
- beschichteter Schaumteller
- separat in Plastiktüte einzeln eingeschweißte (!) Plastikgabel
Gen Gipfel kommt es mir so vor, als hätten die Österreicher Nebelgranaten von Norden her geschossen:
Hier am Monte Pasubio ("Berg der 10.000 Toten") tobte der Gebirgskrieg am heftigsten. Ergebnis: 0,0 Bewegung.
Immer wieder erkunde ich im italienischen "Zahn" (bzw. Platte) die Relikte von vor mehr als 100 Jahren.
Über den höchsten Punkt der Italiener geht es dann deren Felsriegel noch ein Stück entlang und dann gen Nordosten erst leicht abwärts.
Immer wieder am Weg: Zisternen, Artilleriestellungen, mehr-etagige Baracken, Schützengräben,...
Am Ende des Riegels führt der Weg dann steil bergab durch Schutt auf den sog. Eselsrücken.
Von der "österreichischen" Seite - nur ca. 50 Meter entfernt - offenbart sich der mit 50 (fünfzig) Tonnen Sprengstoff (allein die Mühe, das im Winter auf über 2.000 Meter zu tragen...) beim größten Knall des Gebirgskriegs weggesprengte Teil des italienischen Felsens (dummerweise kamen dabei auch knapp 20 österreichische "Schaulustige" ums Leben: 30 Gas-Explosionen in der Folge der Sprengung ließen Feuer- und Rauchgas-Cocktails auch in den Edison-Tunnel der Österreicher durchzünden):
Aber auch der Minen-Krieg mit Tunnel unter den Gegner bohren und dann in die Luft jagen, brachte keinerlei Veränderungen (alleine hier sprengten fünf Mal die Italiener und fünf Mal die Österreicher).
Am Gipfel die fein-säuberlich betonierten Lauf- und Schützengräben der Österreicher, die sich in ihrer Platte (nur 200 Meter lang und 80 Meter breit) auf 3 Stockwerken im Fels und obenauf "eingerichtet" hatten:
Vereinzelt sieht man noch weitere Relikte aus dieser Zeit und auch am Tagesziel gibt es einen Schaukasten mit Funden.
Im Abstieg wird das Gelände dann lieblicher.
Im Rif. Vicenzo Lancia erkenne ich dann, daß der Vortag mit den deutschsprachigen E5-Wandermassen wohl nur ein Zufalls- oder Urlaubs-Tage-Timing-Wellen-Phänomen war:
Außer mir sind ein italienisches Ehepaar, ein deutsches Paar (mutmaßlich E5-Wanderer gen Süden) sowie Markus und Sven (mit denen ich mir auch das 7er-Lager teile) über Nacht auf der Hütte.
Erst kann ich die beiden geographisch an Hand des Dialekts nicht so richtig einschätzen: Österreicher oder Schweizer, aber auf Nachfrage klärt sich das sehr naheliegend: Vorarlberger :-)
Die beiden werden in wenigen Tagen ihr Mehrjahres-Projekt Konstanz-Verona abschließen, ob das nächste allerdings der Maximiliansweg (bayerische Fortsetzung des WWW04 von Berchtesgaden bis Lindau - bzw. für Sven in die andere Richtung) oder doch Hochtourenwoche in den Westalpen (Markus) sein wird ? - Ich würde den beiden natürlich raten: Warum sich entscheiden. BEIDES !
* die sprichwörtlich dünnsten Bücher der Weltliteratur:
- englische Rezepte
- amerikanische Geschichte
- deutsche Liebhaber
- italienische Helden
Gipfel/Übergänge:
- Dente Italiano (2.220m)
- Dente Austriaco (2.203m)
Begegnungen:
- 1 großes und 1 kleines Reh (an der gleichen Stelle nacheinander)
- Markus und Sven aus Vorarlberg auf ihrem E5-Endspurt nach Verona