Donnerstag, 30. Juni 2022

Tag 04: Spezielle Plattentektonik mit Wurzelbehandlung

Passo Campogrosso - Rif. Vincenzo Lancia
(22,5 km - 1.240 Hm auf - 885 Hm ab)

Heinz, der ältere Bergführer, hatte objektiv am Vorabend natürlich völlig Recht (und seine fachliche Qualifikation sowie das geschulte Auge stehen auch gar nicht zur Disposition): Er hatte mich beim Abstieg beobachtet "wia a older Moa" und gemutmaßt, ich habe bestimmt die an den Distelblüten schwebenden und Nektar saugenden Kolibris (ein seltenes Bild in den Alpen) in meiner Aufmerksamkeit für den Weg nicht gesehen.

Ich kann ihm mit einem süfisanten Lächeln auch subjektiv Recht geben, aber ich kenne nicht nur meine Pappenheimer, sondern auch meine Knochen bzw. Knie. In derartigem Terrain mit hohen Stufen im Abstieg und "Rollsplitt" muß ich mich wirklich fokussieren und seit 20 Jahren fahre ich gut damit (keine Plica-bedingten Ausfälle mehr), auch wenn es reichlich unsportlich, unelegant und staksig (quasi mit den Stöcken als Krücken) aussieht ;-)

Nachdem am Vorabend bereits heftiger Regen und schwere Gewitter eingesetzt haben, zieht sich das die ganze Nacht durch. Einige der ca. 35 Übernachtungsgäste (davon ca. 25 deutschsprachige auf dem E1, u.a. eine 11-köpfige Alpenvereinsgruppe aus Mainz) meinen am Morgen gegen 03:00 Uhr wäre es am schlimmsten gewesen.

Da habe ich alleine in meinem 6er-Lager natürlich tief und fest an meinem Erholungsschlaf gearbeitet: Alles zu seiner Zeit.

Am Morgen regnet es immer noch, aber nicht mehr so stark.

Drei zögernden Damen auf dem Weg nach Süden (die den Bröselhang hoch müssen) mache ich Mut, in dem ich Regen wegdefiniere.

So kommt es dann eigentlich auch (mal sehen, wie lange das noch gut geht), wobei die Wolken teilweise in den Berghängen bzw. dem Wald drin hängen:

Ich habe nur lange Beine zwecks der Nässe von Gras und Büschen angelegt (allerdings kippen mir tiefhängende Äste immer wieder Erfrischungsladungen vor die Brust oder ins Genick), aber Regensachen sind mir bereits beim Losgehen fremd: Ich komme ja schon ins Schwitzen, wenn ich manch anderen Zeitgenossen derart anschauen muß :-)

Über einen Hügel geht es zum Paß Pian delle Fugazze hinunter.

Im Anschluß direkt auf der anderen Seite wieder aufwärts und diesmal so richtig (knapp 1.100 Hm).

Aber eines nach dem anderen.

Zuerst ein Stück Militärstraße, dann immer wieder kilometerlange Serpentinen über Pfade abkürzend, bis ich letztlich vor diesem Stück Bauzaun stehe:

Ich interpretiere eine Sperrung seit 2020. Ok, also ca. 2,5 km Militärstraße außenrum.

Das dumme ist letztlich nur: Oben - am anderen Ende, kurz vor dem Tunnelportal - ist der Weg NICHT gesperrt.

*argh* entweder ist das eine COVID-Einbahnstraßenregelung (unwahrscheinlich) oder italienischer Irrsinn (wahrscheinlicher) - vielleicht sollte ich wieder zur 2008er-Strategie von Tine und mir an der Piave zurückkehren, an Verbotsschildern grundsätzlich gar kein Italienisch zu verstehen. Nun ja, nicht zur Strafe nur zur Übung (dafür war die Steigung natürlich sehr komod). 

Und nicht, daß nun jemand glaubt, vor 100 Jahren hätte diese Straße so ausgesehen: Im ersten Weltkrieg (aus)gebaut (von einem Maultierweg), war sie NICHT mit Fahrzeugen befahrbahr, hatte (natürlich) keine gemauerten Tunnelportale und die Tunneldecken waren auch nicht mit Beton ausgespritzt. 

Erst 1937 bzw. in den 1980er-Jahren wurde der heutige - Autobahn-artige - Ausbau der sog. "Helden-Straße"* realisiert und dabei auch die meisten der Gallerien beseitigt.

Aber ein paar hat es noch:

Am Rif. Achille Papa auf 1.928 Metern kehre ich für eine kleine Stärkung (und zum Aufwärmen) auf einen Strudel und eine heiße Schokolade (die war mir am Vortag noch verwehrt worden) ein.

EU-weit sind Plastik-Strohhalme seit einiger Zeit aus ökologischen Gründen verboten. Während des (nicht ganz einfachen) Versuchs, meinen Apfelstrudel erfolgreich zu verspeisen (ohne Verletzung davon zu tragen und möglichst annähernd 100% der Portion in meinen Mund zu bekommen), sinniere ich darüber, wie viele Dutzend Halme man wohl aus dem ganzen Plastikmüll hätte produzieren können:

  • beschichteter Pappbecher
  • Plastiklöffel
  • beschichteter Schaumteller
  • separat in Plastiktüte einzeln eingeschweißte (!) Plastikgabel
Mann, Mann, Mann - und da hatte ich die Wirtin im B&B in Giazza schon gedanklich für deppert erklärt, wegen der Holzgabel und dem Holz-Nahezu-Löffel (schon Mal Holz in Löffelform gepreßt ? - geht nicht so richtig: Müsli-"Löffeln" war wirklich anstrengend) als Frühstücksbesteck.

Gen Gipfel kommt es mir so vor, als hätten die Österreicher Nebelgranaten von Norden her geschossen:

Hier am Monte Pasubio ("Berg der 10.000 Toten") tobte der Gebirgskrieg am heftigsten. Ergebnis: 0,0 Bewegung.

Immer wieder erkunde ich im italienischen "Zahn" (bzw. Platte) die Relikte von vor mehr als 100 Jahren.

Über den höchsten Punkt der Italiener geht es dann deren Felsriegel noch ein Stück entlang und dann gen Nordosten erst leicht abwärts. 

Immer wieder am Weg: Zisternen, Artilleriestellungen, mehr-etagige Baracken, Schützengräben,...

Am Ende des Riegels führt der Weg dann steil bergab durch Schutt auf den sog. Eselsrücken.

Von der "österreichischen" Seite - nur ca. 50 Meter entfernt - offenbart sich der mit 50 (fünfzig) Tonnen Sprengstoff (allein die Mühe, das im Winter auf über 2.000 Meter zu tragen...) beim größten Knall des Gebirgskriegs weggesprengte Teil des italienischen Felsens (dummerweise kamen dabei auch knapp 20 österreichische "Schaulustige" ums Leben: 30 Gas-Explosionen in der Folge der Sprengung ließen Feuer- und Rauchgas-Cocktails auch in den Edison-Tunnel der Österreicher durchzünden): 

Aber auch der Minen-Krieg mit Tunnel unter den Gegner bohren und dann in die Luft jagen, brachte keinerlei Veränderungen (alleine hier sprengten fünf Mal die Italiener und fünf Mal die Österreicher).

Am Gipfel die fein-säuberlich betonierten Lauf- und Schützengräben der Österreicher, die sich in ihrer Platte (nur 200 Meter lang und 80 Meter breit) auf 3 Stockwerken im Fels und obenauf "eingerichtet" hatten: 

Vereinzelt sieht man noch weitere Relikte aus dieser Zeit und auch am Tagesziel gibt es einen Schaukasten mit Funden.

Im Abstieg wird das Gelände dann lieblicher.

Im Rif. Vicenzo Lancia erkenne ich dann, daß der Vortag mit den deutschsprachigen E5-Wandermassen wohl nur ein Zufalls- oder Urlaubs-Tage-Timing-Wellen-Phänomen war:

Außer mir sind ein italienisches Ehepaar, ein deutsches Paar (mutmaßlich E5-Wanderer gen Süden) sowie Markus und Sven (mit denen ich mir auch das 7er-Lager teile) über Nacht auf der Hütte.

Erst kann ich die beiden geographisch an Hand des Dialekts nicht so richtig einschätzen: Österreicher oder Schweizer, aber auf Nachfrage klärt sich das sehr naheliegend: Vorarlberger :-)

Die beiden werden in wenigen Tagen ihr Mehrjahres-Projekt Konstanz-Verona abschließen, ob das nächste allerdings der Maximiliansweg (bayerische Fortsetzung des WWW04 von Berchtesgaden bis Lindau - bzw. für Sven in die andere Richtung) oder doch Hochtourenwoche in den Westalpen (Markus) sein wird ? - Ich würde den beiden natürlich raten: Warum sich entscheiden. BEIDES !  


* die sprichwörtlich dünnsten Bücher der Weltliteratur:

  • englische Rezepte
  • amerikanische Geschichte
  • deutsche Liebhaber
  • italienische Helden


Gipfel/Übergänge:

- Dente Italiano (2.220m)

- Dente Austriaco (2.203m)


Begegnungen:

- 1 großes und 1 kleines Reh (an der gleichen Stelle nacheinander)

- Markus und Sven aus Vorarlberg auf ihrem E5-Endspurt nach Verona


Dienstag, 28. Juni 2022

Tag 03: Etwas Verlust ist immer

Giazza - Passo Campogrosso
(18,0 km - 1.320 Hm auf - 660 Hm ab) 

Heute geht es "richtig" in die Berge.

Richtige Sportler gibt es hier augenscheinlich auch und nicht nur im Schwarzwald:

Lauter Verrückte - aber die Italiener sind ja bekannte Bergläufer (und eher weniger Berggeher).

Und zum diesjährigen 50. Jubiläum des E5 findet auch ein Staffellauf gen Verona statt. Na, hoffentlich laufen die mich nicht plötzlich über den Haufen:

Zuerst geht es für mich die Teerstraße kontinuierlich ansteigend gen Norden.

Zwischendrin kürzt ein Fußweg immer wieder Serpentinen-Ansammlungen auf dem direkten (Telefondraht-)Wege ab.

Und - ich traue meinen Augen kaum - es gibt sie noch ! Die richtigen Radler.

Man erkennt sie daran, daß sie kaum schneller als der Wanderer bergauf sind, daß sie Zeichen von Anstrengung zeigen und daß sie teilweise leicht schwanken und nicht wie am Schnürchen bergauf fliegen.

Und der jüngste ist DIESER (nun wirklich) ältere Herr jetzt auch nicht mehr.

Respekt !

Zwischenzeitlich verabschiedet sich der Wanderweg endgültig von der Straße (ersterer verläuft überwiegend rechts des Flußes; letztere dann nur noch links).

Bei der letzten Querung des (ausgetrockneten) Flußbettes überschreite ich auch die Grenze zwischen Veneto und Trentino.

Das ist wie in Deutschland an Bundesland- oder gar an Landkreis-Grenzen: Man wird deutlich (über Schilder) darauf hingewiesen, es wechselt der sog. Sachaufwandsträger und häufig damit auch der Ausbauzustand.

Hier kommt mir der Wechsel entgegen: Von betoniertem Steig geht es auf naturbetonen Wald-/Fels-Steig.  

Zunehmend gewinne ich im Talverlauf gen Norden an Höhe: Ich habe in dieser Hinsicht auch noch einiges "gut zu machen" - die Straße auf der anderen Seite zeigt noch ein deutlich höheres Niveau.

Aber, was will man von mir erwarten ? 

Die Hüttendichte ist hier wirklich enorm: Die dritte im Talverlauf ist erreicht (hier kreuzt übrigens der Fernwanderweg E7 - von Autobahnkreuz-Feeling ist aber nichts zu spüren ;-) und die vierte klebt gegenüber oben am Berg.

Meinen Nachfolgern sei übrigens statt dem B&B in Giazza die erste Hütte im weiteren Wegverlauf (ausgeschrieben mit ca. 80 min ab dem Ort) empfohlen.

Nun, ich muß mich jetzt entscheiden: Rechts geht es in ausgeschilderten 2,5 Stunden (direkt) zum Tagesziel Passo Campogrosso.

Es ist bedeckt, aber das Wetter scheint zu halten - im Gegensatz zu einem meiner Stöcke: der taffe Abstieg gestern hat mich augenscheinlich wohl eine Spitze gekostet und nun geht er quasi auf dem Zahnfleisch (Plastik). Aber besser Verschleiß/Verluste am Material als am Kerl.

Ich gehe - wie zu Hause geplant - einen kleinen Schlenker - genau dem E5 folgend und hoch zur Mosca-Scharte (danach kommen nach mehr als 1.200 Aufstiegsmetern am Stück die ersten Meter abwärts), wo ich auf den Sentiero della Pace (Friedensweg) stoße, dem ich die nächsten Tage grob folgen möchte.

Der Friedensweg hatte mich vor Jahren auch schon mal gereizt (700 km mit ein paar Bergen sind ja eine nette Größenordnung, wenn man nicht mehr der Jüngste ist), allerdings gab es damals keinen (aktuellen) Wanderführer und auch jenseits wenig (brauchbare) Infos. 

Somit ist die 2.000er-Marke und die Zeichen des Grauens von vor gut 100 Jahren erreicht.

Unerbittlich tobte hier der Gebirgskrieg zwischen Östereich und Italien und der Weg im Zeichen der (Friedens-)Taube zeichnet diesen Frontverlauf nach.

Typischer Steig auf der Bergrückseite, etwas unterhalb und somit vor feindlichem Feuer geschützt:

Ab und an findet man in den Fels geschlagene kleine Unterstände:

An der Bocchetta dei Fondi geht es dann RICHTIG steil bergab.

Die (symbolischen) Warnungen am Weg ignoriere ich lieber mal...

Aber da geht es schon runter...

Von etwas weiter unten sieht es schon gar nicht mehr so wild aus - sofern man den Weg überhaupt noch erkennen kann und nicht nur an den senkrechten Felswänden optisch hängen bleibt.

In den Schuhe extrem beanspruchenden Schuttreißen (da könnte man Gehern mit flachen Schuhen eigentlich nur Gamaschen empfehlen - zumindest wenn man hinterher nicht puhlen oder gar Schuhe ausleeren möchte) lasse ich zwei Damen passieren (wie ich später herausfinden werde: die Frau des Bergführers und eine Salzburgerin - letztere fährt (unglaublich ! ;-) lieber zurück).

Den aufkommenden Regen lasse ich mal wieder ignorierend an mir abprallen (mal sehen, wie lange diese E1-Strategie noch aufgeht...).

Blick zurück: Da bin ich runter gekommen ! 

E5-Erinnerung auf Italienisch an der Unterkunft:


2.000er Gipfel/Übergänge:

- Bocchetta Mosca (2.029m)

- Bocchetta dei Fondi (2.040m) (südlichster Punkt des Friedenswegs)


Begegnungen:

- 2 Murmeltiere

- Gruppe aus 6 Gämsen

- 1 Bayerischer Bergführer mit Frau, Schwägerin und zwei weiblichen Gästen aus dem Münchner Osten/Salzburg am Ende ihrer 4-Tagestour aus (Kletter-)Steigen


Montag, 27. Juni 2022

Tag 02: Und das dicke Ende kommt zum Schluß

Erbezzo - Giazza
(23,9 km - 950 Hm auf - 1.240 Hm ab) 

Im Schweiße meines Angesichts hatte ich mir am Vortag die Höhe erkämpft und dann das:

Bereits am Ortsrand geht es steil bergab.

Und die Krux: Gleich nach dem Start, im schattigen Wald, im reinen Abstieg, rinnt mir der Schweiß schon wieder. Bei ca. jedem 3.-5. Schritt klatscht ein Tropfen vom Kopf auf den Boden.

Eine Herde (Such-)Schafe könnte wohl problemlos die Fährte aufnehmen, wenn ich heute verloren ginge.

Aber die östliche Orientierung läßt an den Vortag denken und ja, kaum war ich im schmalen Tal angelangt, ging es auf der anderen Seite durch den Wald wieder hoch.

Letztlich komme ich dann in so etwas wie Hügelland mit Weideflächen und verstreuten einzelnen Bauernhöfen bzw. ab und an kleineren Weilern oder gar Dörfern.

Der Weg ist abwechslungsreich und über einen Hügel und dabei durch diese hohle Gasse komme ich... 

... um just auf der anderen Seite und das Tal nach hinten dann einen Teil des Elektriker-Teams zu sehen, die just zeitgleich mit mir an einer Kreuzung ankommen.

Kleiner Unterschied: Sie waren mit dem Auto gefahren. Ich gelaufen. Mutmaßlich hatte ich die bessere Navigation ;-)

Bei den Kühen ist es (augenscheinlich) wie bei den Menschen:

1. Es gibt nicht nur Rindviecher.

2. Manche denken auch mit.

3. Manche die denken, ziehen auch (praktische) Konsequenzen.

4. Statistisch gesehen sind jene aber in einer Minderheit.

5. Wie bei den Menschen ;-) 

Von Zeit zu Zeit ist der Weg auch etwas Urwald-mäßig aber eigentlich immer gut beschildert.

Auf knapp 1.500 Metern kommt dann der letzte Wendepunkt des heutigen Tages:

Ab jetzt geht es nur noch abwärts.

Und wie !

Mittels unzähliger Serpentinen schlängle ich mich real bis auf unter 800 Meter über dem Meer - gefühlt endlos - hinab.

Teilweise ist der Weg durch unter Blättern versteckten Rollsteinen oder grob heraus schauendem Fels auch recht unangenehm zu gehen.

Ich vermute, daß es sich um eine Militärstraße aus dem Ersten Weltkrieg handelt.

Morgen werde ich ja bereits an der damaligen Front sein, aber heute bin ich zumindest an dieser Stelle froh, nicht auch noch mit dem Kopf durch die Wand zu müssen:

Letztlich gilt es noch ein letztes Tal der Tränen (auch wenn der überquerte Fluß gerade ausgetrocknet ist) zu durchschreiten: Aus Westen kommen, heißt nach Osten bergauf gehen.

Giazza liegt am Berg.

Natürlich kommt der Weg ganz untern an.

Natürlich ist mein Bed&Breakfast ganz oben (und das Zimmer im ersten Stock).

Natürlich ist die höchste Pizzeria immer noch ganz schön weit unten (aber nur das mittlere Restaurant heute geschlossen).

Aber, wie heißt es so schön: Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter :-)


Begegnungen:

- 1 Eidechse

- 1 Maus

- 1 Eidechse

- 1 Murmeltier

- 1 Eidechse

- 1 Libelle

- 2 Libellen


Tag 01: Schluchtensteig 2.0+

 Verona - Erbezzo
(30,5 km - 1.570 Hm auf - 600 Hm ab)

Eigentlich sollte es Frühstück am heutigen Sonntag erst ab 08:30 Uhr geben, aber um diese Uhrzeit will ich natürlich an diesem langen Tag und bei der wahrscheinlichen Hitze längst unterwegs sein. Die Vorab-Verhandlungen per Mail ergeben dann 07:30 Uhr und das Frühstück ist alles andere als typisch italienisch: Alleine meine Zusammenstellung aus Schokomüsli, den frischen Früchten und Joghurt ist ein Traum. Verschiedene Kuchen und italienischer Schinken runden mit English Breakfast den perfekten Start in den Tag ein.

Durch dörfliche Gebiete geht es bei blauem Himmel und bereits sehr warmen Temperaturen (das kann ja "heiter" werden) auf den E5.

Nein, der E5 ist NICHT nur Oberstdorf-Meran (auch wenn dieses kleine Teilstück - ob seiner Bekanntheit - im deutschsprachigen Raum teilweise synonym verwendet wird), sondern führt auf ca. 3.000 km von der Atlantikküste Frankreichs über Konstanz (na, da war doch kürzlich etwas mit E1) nach Verona bzw. Venedig (dort war ich bei meiner ersten Fernwanderung 2008 auf dem Traumpfad von München aus angekommen).

In meinem jugendlichen Leichtsinn nehme ich mir gleich die "Experten"-Variante vor:

Ein kurzes Stück führt noch ein kleines Sträßchen ins Tal hinein.

Aber bereits 45 Minuten nach dem Start an der Unterkunft geht es endgültig in die Wildnis:

Und auch wenn ich den Schwarzwäldern und den begeisterten Scharen an Schluchtensteigwanderern nicht zu nahe treten will (in der Wutachschlucht war ich just vor vier Wochen: Teil1, Teil2), was ich in den nächsten zwei Stunden erleben werde ist ("natürlich") beeindruckend und ein kleines Abenteuer.

Innerhalb kürzester Zeit ragen links und rechts die Felswände bestimmt 50-100 Meter auf.

Absolut einsam führt ein schmaler Pfad direkt auf Grundniveau durch den teils nur Fluß-breiten Canyon (da geht man dann im Flußbett - logischerweise).

Ab und an wird es weglos und teilweise geht es direkt durch das (im unteren Teil komplett ausgetrocknete) Flußbett.

Manchmal bin ich mir gar nicht sicher, noch auf dem richtigen Weg zu sein, aber mangels Abzweigungen/Alternativen und insbesondere den immer wieder auftauchenden Markierungen bleibe ich zuversichtlich.

Wahnsinnig beeindruckend und schon am ersten vollen Wandertag ein Highlight wie ich es derartig bisher noch nicht gesehen habe, weil es eben kein vom Menschen durch eine Klamm gebauter Weg ist, wie man das sonst von spektakulären Schluchten evtl. kennt.

So schön wie das ist (von den angenehmen Temperaturen mal ganz abgesehen): Bei/nach Unwetter/Starkregen möchte ich hier NICHT sein. Wenn Wassermassen durch den Canyon kommen und die Steilwandkurven entlang schießen, dürfte das kein Spaß, sondern lebensbedrohlich sein (da sollte man dann auch als "Experte" die Nicht-Esxerten-Varainten westlich über die Höhen nehmen).

Letztlich lande ich in einer Art Kathetrale, wo von mehreren Seiten wohl Wasserfälle (im Regenfall) aus höher gelegenen Canyons zusammenkommen.

Hier haben die Italiener ein technisches Hilfsmittel in Form einer freistehenden Treppe angebracht, um aus dem unteren Teil heraus zu kommen:

Puh, ganz schön luftig.

Mann, bin ich froh, Verona-Salzburg von Hans nicht - wie ursprünglich mal von mir angedacht (böse Zungen sprachen kürzlich ja gar von "Plan" - ich und Plan) - von Salzburg nach Verona gegangen zu sein: Im Abstieg wäre ich wohl weit mehr als die 1.000 Tode des Aufstiegs gestorben...

Nachdem ich in der nächsten kleineren Schlucht oberhalb nach einer Weile irgendwie eine Abzweigung nach Osten verpaßt zu haben scheine und geradeaus auch keine Markierungen mehr kommen, gehe ich ein Stück zurück und lasse ich mich über einen Steig gen Westen sowei einen kleinen Bogen zurück auf große markierte Wege führen:

Im Anschluß komme ich mir vor wie die Kühe beim Almauftrieb die Tage in Ellmau: Links Gitter, rechts Gitter, ein schmaler Weg - Fehlen nur noch die G7-Polizisten links und rechts ;-)

Der erste größere Steinbruch am Weg, wovon dann (zumindest aus der Ferne) noch einige zu sehen sein werden und auch der verschwenderische Umgang mit Steinplatten z.B. als Wanderweg-Leitplanken oder Kuhweide-Begrenzung (alles eine Frage des Standpunkts bzw. Blickwinkels) deutet auf nahe und günstige Quelle(n).

Nachdem es im ursprünglich mal angedachten Etappenende zwar ein Restaurant aber keine Unterkünfte gibt, hatte ich bereits zu Hause die Etappe etwas verlängert.

Problem dabei nicht die ca. sieben Kilometer, sondern der Weg nach Osten.

Hintergrund: Hier laufen einige parallele Felsrücken nord-südlich, einen davon war ich in hügeligem auf und ab bis zum Nachmittag gen Norden gegangen und nun geht es quer zum Strich. Folglich runter-hoch-runter-hoch.

Und die Sonne brennt. Der Großteil des Weges verlief zwar im Schatten, aber dennoch scheinen meine drei mitgeführten Liter Wasser schlicht nicht zu reichen.

Ein paar ältere und super-hilfsbereite Herrschaften im Schatten eines Häuschens helfen mir spontan aus: Sprachlich verstehen tun wir uns zwar nicht, aber mein (fertiges) Aussehen deutet wohl bereits auf "Flasche leer" und eine über den Zaun gereichte fast leere Flasche wird dann umgehend aufgefüllt. Grazie mille !

Die letzten zwei Kilometer über Wiesen werde ich nun wohl auch noch irgendwie schaffen. Letztlich halfen starke Temporeduzierung, viele Mikropausen und vier halbe Traubenzucker über die finalen zwei Stunden hinweg.

Am Ziel brauche ich dann noch VOR der Dusche erstmal etwas zu trinken.

Gut, daß ich auch direkt in der Unterkunft (nach der Dusche) etwas zu Essen bekomme und ich kann mich wahrlich kaum erinnern, wann ich zuletzt SECHS Liter zwischen Frühstück und zu Bett gehen getrunken habe.

Und mit 9,50 EUR waren die drei Liter Saftschorlen zwischen 18:15 und 21:15 Uhr auch noch sehr günstig !

Auch wenn ich jetzt bereits über 1.000 Meter residiere: Ich glaube, ich brauche höhere Berge für angenehmere Temperaturen.


Begegnungen:

- 1 Eidechse

- 1 Libelle

- 2 Mountainbiker

- 1 Pfau

- 1 Eidechse

- hilfbereite Einheimische zwecks Wasser-Nachschub

- Familie mit zwei Jungs und einem Baby ("endlich ein Mädchen und nun ist es genug") mit denen ich vor der Dusche auf Englisch parliere (für den 9-jährigen eine gute Übung, denn im neuen Schuljahr bekommt er einen Englisch-Native-Speaker in die Klasse)