Dienstag, 19. Juli 2022

Tag 22: Dreibeinig jenseits der Komfort-Zone

Bonn-Matreier-Hütte - Venedigerhaus
(22,5 km - 960 Hm auf - 2.000 Hm ab)

Nachdem es am späteren Nachmittag des Vortags auch mit Decke über den Beinen wegen des kalten Windes in dieser Höhe nur noch bedingt im Freien sitzend auszuhalten war, beginnt der nächste Morgen wieder windstill und ungewöhnlich warm für 2.750 Meter über dem Meer.

In den Tälern hängen da und dort noch ein paar Wolkenfetzen, aber die Sonne lacht/knallt schon wieder vom stahlblauen Himmel.

Nach der Erholung gestern steht heute eine lange (zumindest wenn das mit meiner Unterkunft im Venedigerhaus in Innergschlöss klappen sollte - da kam leider keine definitives Feedback, sondern nur Vages zurück), körperlich und vor allen Dingen mental fordernde Etappe auf dem Programm.

Zwei (seilgesicherte) Scharten jenseits von 2.700 Metern sind heute ziemlich am Anfang zu überwinden und insbesondere das Steinschlag-gefährdete Steiglein in Form einer sehr langen Hangquerung (laut Karte mindestens ca. 700 Meter lang) nach der Galtenscharte (stark abschüssig nach vorne, rutschende Erde/Bröselgestein, stark abschüssig zur linken Seite, 1 Schuh breit und kurz danach hunderte Meter NICHTS) schlägt ins Kontor.

Gut, daß ich ein Ehepaar (wo die Frau recht unsicher wirkt) bereits zwischen den Scharten passieren kann und eine 5er-Gruppe bereits beim Start hinter mir war, so habe ich mindestens 250 Meter in alle Richtungen Luft zum Atmen als ich in langsamen Tippelschritten, Stockeinsatz für Stockeinsatz da im Schneckentempo entlang taste. Daß mein rechter Stock dann ausgerechnet mittendrin mal wieder zusammenrutscht und ich ihn (wahrscheinlich wegen Staub-Verschmutzung) kaum mehr auseinander bekomme, macht die Sache nicht gerade besser.

Nachdem dieser Abschnitt irgendwann überlebt ist (bei Regen/Schnee oder ohne Stöcke möchte ich da in diese Richtung aber nicht lang müssen), muß ich erstmal pausieren und (neben dem Foto - der hatte zuvor die Arbeit wegen Höhenangst eingestellt) Spezial-Equipment auspacken...

Gut, daß ich eine Schnur und Sicherheitsnadeln dabei habe: So ist schnell eine provisorische Angel gebaut, um das Herz aus der Hose zurück zu holen, wo es augenscheinlich hin gerutscht war.

Mann, Mann, Mann.

Nun folgen traumhafte Pfade auf niedrigerer Höhe das Tal nach hinten.

Prompt komme ich in einen Stau, den ich aber auf italienische Weise (laut und wiederholt hupen !) ziemlich schnell passieren kann, nachdem die anderen Verkehrsteilnehmer dadurch ziemlich verschreckt wirken und freiwillig eine Rettungsgasse für mich bilden:

Quasi der mittleren Etage (rechts unten am Talgrund ein Fahrweg; links von mir die Gipfel) geht es das lange hintere Frosnitz-Tal nach hinten:

An der Brücke kurz bevor der Venediger-Höhenweg mit dem Standard-Hütten-Anstieg zur Badener Hütte zusammenkommt, wundere ich mich über diese Brücke:

Seit Tagen hat es nicht mehr geregnet und die Schneeschmelze ist nach dem schneearmen Winter bereits lange vorbei und trotzdem überspült der Bach teilweise die Brücke und man muß jenseits schnell am Seil den Fels hochklettern, um nicht weggespült zu werden !

Also nach starkem Regen bzw. im Frühsommer möchte ich da nicht entlang müssen...

Die Quelle des Problems - im wahrsten Sinne des Wortes - offenbart sich wenig später:

Das ist einzig und allein der Abfluß dieses kleinen Gletschers !

Wie mir der Wirt auf der Badener (Niederösterreich !) Hütte während einer kleinen Kuchen-Johannisbeer-Schorlen-Pause erzählt, ist der Gletscher so aper, wie sonst typischerweise einen Monat später im Jahr (Mitte/Ende August) und auch die Nacht-Temperaturen seien viel zu warm für diese Höhe. Tja, Nachtigall ich hörte Dir an der Marmolada trappsen... :-( 

Auch nach weiteren 40 Minuten Pause an der Hütte (nachdem ich zuvor schon 20 Minuten gemacht hatte), ist von meinen morgendlichen Mitstreitern nichts zu sehen oder zu hören.

In die Gegenrichtung waren mit nur 3 Herren entgegen gekommen und 2 Jungs machen sich kurz nach meiner Ankunft noch gen Bonn-Matreier-Hütte auf.

Für mich geht es jetzt auch noch weiter, nämlich auf das Löbbentörl zu, das man am Horizont schon erahnen kann:

Der Pfad geht weiterhin den Hang entlang, enthält aber auch ein paar kniffligere Stellen in meine Richtung im Abstieg, so daß es etwas länger dauert.

Aber schließlich ist um 15:20 Uhr der Übergang erreicht und ein wahnsinniges Panorama gen Venediger tut sich auf:

Als ich so an der Scharte pausiere, kommen noch zwei ältere Damen vorbei. Die eine aus der Berlin, die andere aus der Nähe von Hildburghausen in Südthüringen. Seit dem gemeinsamen Studium in Dresden unternehmen sie Bergtouren (sonst in etwas größerer Gruppe - aber das Zeitproblem bei den Rentnern, you know... ;-).

Als sie hören, daß ich jetzt noch nach Innergschlöss absteigen will, sind sie etwas baff, denn das wäre doch noch so weit.

Nun, ganz objektiv sagt mein GPS 6 km Wegstrecke, subjektiv schätze ich dafür 2,5 h Gehzeit und faktisch sind das weitere gut 1.000 Höhenmeter Abstieg, nachdem ich die ersten 1.000 bereits hinter mir habe.

Um 16 Uhr mache ich mich auf den Weg und bereits unweit der Scharte in einem Schneefeld - ich hatte ja schon Zweifel, ob ich dieses Jahr ÜBERHAUPT mal eines vor mir hätte - gibt mein seit Wochen malader linker Stock entgültig den Geist auf :-(

*argh* jetzt heißt es, quasi dreibeinig weiter bergab zu humpeln. Nicht schön, aber besser als wenn das VOR der Galtenscharte passiert wäre... 

Die Seitenmoräne entlang verliere ich nur langsam an Höhe und zwischenzeitlich erlebe ich auch noch live und in Farbe einen Gletscherabbruch an einem Seitengletscher, wo Tonnen von Eis eine Felsstufe hinab knallen.

Nach und nach wird die Landschaft grüner und ich kann gegenüber (über den Salzbodensee auf 2.138m hinweg) schon auf die morgige (Kurz-)Etappe blicken:

Ich muß aber noch bis auf ca. 1.700 Meter weiter absteigen.

Auch hier ein Gletscherabfluß außer Rand und Band:

In der Ferne ist Innergschlöss (da kam ich Tag 45/2017 bereits vorbei) bereits zu erkennen, aber als ich den Talboden erreicht habe, sind es noch weitere 1,5 Kilometer zu gehen:

Um 18:25 Uhr erreiche ich nach 8,5 Stunden Gehzeit (zeitlich längste Etappe) das Venedigerhaus in Innergschlöss, über dessen Wirtsleute, Personal und so manche Gäste wir mal lieber den Mantel des Schweigens hüllen.

Nur die freundliche und zuvorkommende Senior-Chefin möchte ich positiv ausnehmen !

Ein genauerer Blick auf die Reste meines linken Stockes offenbaren all seine Probleme:

Der Bolzen, der ihn sonst zusammenhält ist entweder raus- oder reingefallen (innendrin klappert irgendetwas):

Das Plastik nach dem Spitzenverlust am Anfang der Tour ist so gut wie abgelaufen: Mittlerweile schaut unten Karbonrohr heraus:

Mal schauen, wie es dreibeinig weitergeht...


Gipfel/Übergänge:

- Kälberscharte (2.772m)

- Galtenscharte (2.791m)

- Badener Hütte (2.608m)

- Löbbentörl (2.770m)


Begegnungen:

- 1 Murmeltier

- 1 Murmeltier

- 1 Murmeltier

- 1 Murmeltier

- Hüttenwirt der Badener Hütte, der stundenlang mit mir fachsimpeln könnte

- Damen aus Berlin und Hibu (gemeinsam in Dresden vor Jahrzehnten studiert) am Löbbentörl


3 Kommentare:

  1. Stöcke sind so eine Sache. Für Skifahren und Langlaufen war ich mit Leki immer zufrieren. Für Wattens-Venedig habe ich mir im Angebot (40 statt 60 EUR) Komperdell gekauft. Die sind ständig zusammen gerutscht, nach 25 Tagen war die Spitze kaputt und nach 35 haben sich die Griffe durch die Sonnencreme aufgelöst (Geröllschutzkappen bei meinen Millet haben sich auch schon nach 9 Tagen Rissen bekommen, mittlerweile habe ich ein Loch in der Sohle an der Ferse).
    In Kanada dann Black Diamond gekauft, die sind noch nie schnell zusammen gerutscht (sowas ist blöd z. B. bei einem Sprung über einen Bach zwischen Belluno und Tassei), nur gegen Verbiegen ist das Alu auch nicht sicher, kann einen Stock nicht mehr ganz zusammenschieben, muss ihn für kompakten Transport zerlegen. Neue Hartmetallspitzen brauche ich trotzdem irgendwann mal.

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    1. Ach ja, habe die Black Diamond mit Korkgriffen genommen, war skeptisch dass der Kork hält, aber es ist fast noch nichts abgebröckelt, würde ich auf jeden Fall empfehlen.

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    2. Black Diamond hatte ich 2014 auf dem Weg nach Monaco.
      Die waren absolute Fehlkonstruktion:
      1. Nach wenigen Tagen waren Spitzenschoner durch.
      2. Nach gut 4 Wochen rissen innerhalb von 2 Tagen beide Handschlaufen.
      3. Der Einrastring aus Plastik verformte sich - logischerweise - mit dem Metallbolzen als Gegenspieler.
      4. Der Metallbolzen war minderwertig: Rostet vor sich hin.

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